Dr. Lothar Wettstein, Ludwigshafen, (Staatsanwalt a. D.) zeichnet im Gespräch mit dem Leiter von OK-TV Ludwigshafen Dr. Wolfgang Ressmann auf der Grundlage seiner umfänglichen Quellenauswertung ein neues Bild des NS-Funktionärs Josef Bürckel. Der Gauleiter, Reichsstatthalter und Krisenmanager Adolf Hitlers verfügte offenbar über engste Beziehungen zu Hitler und konnte auf diesem Weg eine Machtposition im engeren NS-Führungsstab erlangen. Seine Nähe zu Hitler – verbunden mit seiner hemmungslosen antisemitischen (Deportations-) Politik und seinen Erfolgen beim sogenannten Anschluss des Saarlandes und später Österreichs, ermöglichten es ihm, eine Politik für den deutschen Arbeiter zu propagieren und sich auf diese Weise insbesondere in der Pfalz und im Saarland eine eigene Machtbasis bei einem beachtlichen Teil der Bevölkerung zu verschaffen.
Jüngste weitere Publikationen im Kontext Bürckels (Zeitschrift profil – Wien vom 14. Dezember 2009) legen nahe, dass Bürckel als Wiener Reichsstatthalter 1939 gemeinsam mit Adolf Eichmann die Entwicklung der Grundlagen für die Transportlogistik zur Durchführung des Holocaust maßgeblich vorantrieb. Die sogenannte Wagner-Bürckel-Aktion, der Abtransport tausender jüdischer Bürgerinnen und Bürger aus Südwestdeutschland, Lothringen und dem Elsass 1940 zunächst ins frz. Lager Gurs und danach in die Vernichtungslager des Ostens erscheint somit als weiterer Testlauf für den Massenmord an den europäischen Juden und anderen Minderheiten.
Wettstein räumt auch mit der Legende des Bürckel-Selbstmordes auf. Tatsächlich starb der NS-Verbrecher im September 1944 eines natürlichen Todes, wie Wettstein belegt. Wettstein sieht die Notwendigkeit, die Person Bürckel im NS-Regime vor dem Hintergrund seiner Deportationspolitik und seiner Sonderrolle in der NS-Hierachie neu zu gewichten. Dies gilt für die Bedeutung dieses Gauleiters im Holocaust-Kontext ebenso, wie seine Rolle als brauner Advokat der kleinen Leute. Die NS-Geschichte im Saarland und der Pfalz erscheint somit aus einem anderen Blickwinkel, rückt sie doch vom Rand des 3. Reiches in dessen Zentrum.
Das TV-Gespräch wurde am 23.2.2010 im Rahmen der Ausbildung der angehenden Mediengestalter Bild und Ton im Studio von OK-TV Ludwigshafen aufgezeichnet.
Im Gespräch
mit Dr. Lothar Wettstein
Sendetermin: 13.06.23 | 10:39 Uhr
Verantwortlich: Kerstin Pietruschka, 67112 Mutterstadt